Tütatoo

Historisches Postauto unterwegs

Historisches Postauto unterwegs

Gerade habe ich mal wieder Rossinis Wilhelm-Tell-Ouvertüre gehört. Wie zumindest in der Schweiz allgemein bekannt, entstammt das „Tütatoo“, mit dem Schweizer Postautos den Gegenverkehr vor engen Bergkurven auf sich aufmerksam machen, dieser Ouvertüre. Allerdings ist der cis-, e- und a-Dreiklang bei Rossini nicht gerade dominant – er klingt (oder tönt) als Teil eines längeren Motivs im Andante, nicht im berühmten Finale, und wird auch nicht von schmetternden Trompeten oder Posaunen gespielt. Trotzdem: Ich bin nicht die einzige, der warm ums Herz wird, wenn ich diesen Klang höre.

So ungern man sonst angehupt wird: Das markante „Tütatoo“ auf der Landstrasse freut mich. Es erinnert mich an die Ferien, die ich als kleines Kind im Unterengadin verbrachte. Neben dem schönen, aber schwierigen Wort „Serpentinen“ faszinierte mich damals, wie das riesige Gefährt diese steilen und engen Kurven schwungvoll bewältigte und dabei der unvergessliche Klang ertönte. Übrigens spricht man in der Schweiz in diesem Zusammenhang nicht von Hupe, sondern von Horn – wie das allgegenwärtige Gefährt dazu nicht Postbus, sondern Postauto heisst. („Und nun auf, zum Postauto!“ heisst eine aktuelle Briefsammlung des deutschen Schriftstellers Arno Schmidt. Das heisst aber nicht, dass der notorisch reisefaule Schmidt in der Schweiz unterwegs war – bei ihm bezieht sich der Ausdruck schlicht auf das Auto des Briefträgers, das es noch zu erwischen galt.)

Der öffentliche Verkehr in der Schweiz – von öffentlichem Personennahverkehr oder ÖPNV spricht man hier kaum – ist Gegenstand allgemeinen Neides. Wann immer die Deutsche Bahn streikt oder im Winter, Sommer, Frühling oder Herbst mit diversen Problemen kämpft, taucht die Schweiz als leuchtendes Vorbild auf. In Österreich sieht es kaum anders aus, von den anderen Nachbarländern Italien und Frankreich ganz zu schweigen.

Und man muss sagen, sie haben recht. Jedes Dorf mit 100 Einwohnern hat in der Schweiz Anspruch auf mindestens vier Verbindungen pro Tag. Zwischen sämtlichen grösseren Bahnhöfen gibt es mindestens einmal pro Stunde eine gute Verbindung mit Anschlüssen in alle Richtungen. Natürlich kommen Verspätungen und Zwischenfälle vor, wirken sich durch das dichte Netz und bereitstehende Ersatzzüge oder notfalls Busse aber weniger schlimm aus als anderswo. Kein Wunder, endet der notorisch verspätete ICE, der theoretisch von Berlin über Ruhr und Rhein bis Chur oder Interlaken fahren sollte, regelmässig in Basel. Der nächste Zug steht dort meist schon bereit.

Lachen musste ich, als Amerikaner mal in Luzern fragten, ob sie denn um 18 Uhr abends noch nach Zürich kämen… Ihnen, die gerne mit „This is America“ auf Demokratie und Meinungsfreiheit verweisen, hätte ich gerne mit „This is Switzerland“ angedeutet, dass Sie sich keine Sorgen machen müssten.

 

Foto: Julia Franke

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