Den “Deutschen Sonntag” in der kleinen Stadt besang Franz-Josef Degenhardt vor fünfzig Jahren. Vom herausgeputzten Kirchgang über das fette Mittagessen, die im damaligen Nachkriegsdeutschland noch recht präsenten „Schlachtfeldstätten“ bis zum Abend in beschaulichen Couchecken. Interessant ist, dass die Männer nach der Kirche heimwärts gezogen werden, „dass sie nicht in Kneipen fliehn“, später schallt aus den Schänken „das Lied vom Wiesengrund“, am Abend hingegen „Kneipen nur ihr Licht vergeuden“. Das gehört in Deutschland der Vergangenheit an – nicht nur Ausflugslokale machen am Sonntag gutes Geschäft, viele Menschen sind einfach zu bequem zum Kochen und essen auswärts. Geschlossen haben „alle Restaurants, die keine Lust auf Gäste haben :grins:“, kommentiert jemand auf „gutefrage.net“.
Anders in der Schweiz. Hier sind viele Restaurants und Beizen am Sonntag geschlossen. Selbst in Zürich ist es eine echte Herausforderung, sonntags auswärts zu essen. Hat in Deutschland fast jedes Restaurant seinen Ruhetag – gerne Montag oder Dienstag –, gibt es in der Schweiz im Wesentlichen drei Modelle: Jeden Tag geöffnet (das sind die wenigsten) – Sonntag Ruhetag – Samstag und Sonntag Ruhetag. Selbst mitten in Zürich gibt es Restaurants, die offenbar fast nur vom Mittagessen an Arbeitstagen leben, und nicht ohne Grund erschien kürzlich ein spezielles Buch mit Restaurantempfehlungen für Sonntage.
Warum ist das so? Erfreut sich doch der Tatort in Deutschland ähnlicher, wenn nicht grösserer Beliebtheit wie in der Schweiz. Aber ein Element von Degenhardts „Sonntag in der kleinen Stadt“ hat sich hier noch besser erhalten – vermutlich, weil mehr Menschen in räumlicher Nähe ihrer Eltern wohnen, aus rein geografischen Gründen: Sonntagabend kommt die Familie zusammen, auch erwachsene Kinder essen sehr häufig bei den Eltern oder Schwiegereltern. Manchmal kommt es zu Reibereien, wenn beide Elternpaare auf die Anwesenheit des Nachwuchses Wert legen. In Deutschland kommt das wohl am ehesten an Weihnachten vor.
„Ich finde es egoistisch“, meinte eine Kollegin, „wenn manche Eltern verlangen, dass ihre Kinder jede Woche kommen. Schliesslich wollen die auch mal ruhig zuhause bleiben.“ Auswärts Essen hat in der Schweiz sonntags einfach keine Tradition.
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