Das Fussgängerstreifen-Obligatorium

IMG_1035Drei grosse Artikel auf den Seiten eins, zwei und drei widmete die gedruckte Ausgabe des Zürcher Tages-Anzeigers am 12. März 2016 einem Thema, das seiner Redaktion offenbar auf den Nägeln brennt: „Fussgänger sollen Zebrastreifen ignorieren dürfen“, war der Aufmacher. Hmm – durften wir das bisher nicht? Ich muss zugeben, meine Verkehrserziehung als Fussgängerin liegt schon ein paar Jahrzehnte zurück, sie fand im Kindergarten und in der Grundschule (Schweiz: Primarschule) statt. An „Schau links, schau rechts, geh geradeaus, so kommst du sicher gut nach Haus“ kann ich mich noch erinnern. „Lose, luege, laufe“ ist mir auch ein Begriff – aber eine Verpflichtung, Zebrastreifen zu benutzen? Bis zu dieser Zeitungslektüre Fehlanzeige. (Übrigens interessant, dass der „Zebrastreifen“, über den in der Schweiz vor ein paar Jahrzehnten noch gelacht wurde, statt dem Fussgängerstreifen in der Schlagzeile gelandet ist – kurze Wörter sind halt schnell im Vorteil.)

Tatsächlich ist auch das ein kleiner Kulturunterschied. Während in Deutschland Ampeln (Schweiz: Lichtsignale, deutsches Amtsdeutsch: Lichtzeichenanlagen) auch für Fussgänger verpflichtend sind, sind die Zebrastreifen (deutsches Amtsdeutsch: Fussgängerüberwege) nur obligatorisch, „wenn die Verkehrslage es erfordert“ (§25 StVO). Also dann, wenn man sich schon im eigenen Interesse daran orientiert, wenn auch nicht immer mit sofortigem Erfolg. (Übrigens: Das in der Schweiz früher obligatorische und in den letzten Jahren immer wieder diskutierte Handzeichen hat sich dabei nach meiner Erfahrung durchaus bewährt – im Gegensatz zu anderen Bloggern sehe ich keinen grossen Unterschied zwischen Deutschland und Schweiz, ob Autofahrer halten oder nicht.) In der Schweiz riskiert man hingegen tatsächlich ein Bussgeld, wenn man eine Strasse „wild“ überquert, obwohl es einen Fussgängerstreifen in weniger als 50 Meter Entfernung gäbe. Also, Schweiz-Reisende und -Neulinge, aufgepasst!

Nun wird mir klar, warum meine Kolleginnen die mässig bis mittel befahrenen Seefeldstrasse immer wie magisch angezogen auf den Fussgängerstreifen (so der korrekte helvetische Begriff) queren. Wenn ich allein war, wartete ich bisher eher auf einen Moment ohne Verkehr, egal, wo ich gerade war – durchaus zum Vorteil der Autofahrer, denen so vielleicht ein Halt erspart blieb. Ob ich das in Zukunft noch riskiere, jetzt, wo ich weiss, dass es verboten ist?

Ich wüsste aber niemanden, der tatsächlich je für das „Schwarz-Überqueren“ belangt wurde. Die Schweizer Polizei hat dann doch Wichtigeres zu tun – zum Beispiel Autofahrer, die nicht anhalten zu büssen. Dass sich die Politik des alten Zopfs annimmt, ist löblich. Und der „Tagi“ wollte vermutlich einfach endlich mal wieder was Positives vermelden.

PS: Laut dem “Blick” (Juni 2010) wollte die Stadtregierung von Bern den Ausdruck “Fussgängerstreifen” als nicht geschlechtsneutral durch “Zebrastreifen” ersetzen. Unser Vorschlag: “Fussgehendestreifen”.

 

Foto: Pixabay

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Kommentare (5)

  1. Anja 2

    Ich habe schon eine Busse wegen Nichtbenutzung des Zebrastreifens erhalten.

    1. Julia (Beitrag Autor)

      Ui, das ist mir noch nie passiert, obwohl ich mich wahrlich nicht immmer daran halte. Wo war das? Und wie teuer?

  2. Anja

    Sind die echt alle gelb?
    Hatte ich nicht so präsent.

    Gelbe Zebras gibt es nicht, mir fällt auch nur eine eher bräunliche Antilopenart ein mit Streifen.

    Wie wäre es dann mit Wespenstreifen?

  3. Julia (Beitrag Autor)

    Habe jetzt mal das Bild ausgetauscht. Du siehst, warum das Bild des Zebrastreifens sich in der Schweiz nicht unbedingt aufdrängt…

  4. Anja

    Zebrastreifen ist doch ein hübsches Wort, das angenehme Assoziationen der afrikanischen Steppe hervorruft und Kindern bestimmt auch leichter vermittelbar ist.

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