Schweizer sind pünktlich. Zwar gelten auch die Deutschen als pünktlich, aber alles ist relativ. Schliesslich gibt es Länder, wo man eine halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit noch locker zu früh sein kann. Ein Arbeitskollege meines Mannes war aus einem Land in die Schweiz gekommen, in dem Verabredungen nur grobe Orientierung bieten. Deshalb strengte er sich beim ersten Meeting in Zürich äusserst an und sass fünfzehn Minuten vor Beginn zunächst alleine da. Zwischen fünf vor und Punkt trudelten fast alle ein, doch ein paar Plätze waren noch leer – es war ein internationales Team. Exakt zur vereinbarten Zeit blickte der Vorsitzende auf die Uhr und bemerkte: „Lassen Sie uns noch eine Minute warten, vielleicht haben sich einige verspätet.“ Nach einer respektvollen Schweigeminute konnte die Sitzung dann beginnen. Auf derartige Rücksicht ist allerdings kein Verlass – ich platzte schon am Montagmorgen exakt um 8:30 in eine Sitzung, die gerade begonnen hatte. Wirklich pünktlich ist man nur, wenn man zur vereinbarten Zeit schon da ist und nicht erst eintrifft.
Ist man zum Essen eingeladen, geht es nicht ganz so streng zu und her (auch das ein schöner Helvetismus). Zwischen zwei Minuten vor und fünf Minuten nach der vereinbarten Zeit ist in Zürich völlig in Ordnung. Höfliche Gäste warten schon mal auf der Strasse, bis die richtige Zeit zum Klingeln gekommen ist. Schliesslich plant man die Fahrtzeit lieber etwas grosszügiger. Natürlich sind Züge, Trams und Busse pünktlicher als überall sonst, doch völlig ausschliessen lassen sich Verspätungen nicht. In München erwischte ich mal einen Zug nach Zürich im buchstäblich allerletzten Moment und wurde von einer entrüsteten Durchsage begrüsst, dass wir bedauerlicherweise – Schuld der Deutschen Bahn – mit einer Minute Verspätung abgefahren seien.
Pünktlich ist man nicht nur beim Beginn, sondern auch beim Ende geplanter Ereignisse, seien es Meetings, Weiterbildungen oder Tagungen – mit Verlass (ein Helvetismus, der nicht mal im Variantenwörterbuch steht). Nach einigen Jahren Schweiz bin ich fast schockiert, wenn das in Deutschland nicht überall selbstverständlich ist.
Übrigens gilt das nicht nur Veranstaltungen, sondern auch für Neujahrswünsche. In Deutschland wünscht man munter den ganzen Januar hindurch oder länger allen, die man erstmals in diesem Jahr trifft, ein gutes neues Jahr – im SZ-Magazin schlug man schon vor, die Frist bis 21. Juni auszudehnen. Nicht so in der Schweiz: Hier endet der Jahresbeginn pünktlich mit dem Dreikönigstag am 6. Januar. Wer danach in der Schweiz ein gutes neues Jahr wünschen will, muss bis nächstes Silvester warten und sollte dann nicht trödeln.
(c) Foto: Wolfgang Dirscherl / pixelio.de
byby
köstlich 🙂